Loyalität – Selbstzweck oder psychische Veranlagung?

In der Personalwerbung wird immer gewünscht, dass sich Kandidaten durch Loyalität auszeichnen sollten, obwohl die Personalwerbung das illoyale Verhalten bezweckt, einen Arbeitgeber zu verlassen. Die Frage stellt sich, ob Loyalität eine Charaktereigenschaft ist, oder eine vernünftige, zweckgebundene Verhaltensweise.

Loyalität hat zwei Seiten. Einerseits die charakterliche Veranlagung zur Treue, zur Bindung, zur Bewahrung, zur Verteidigung der Interessen von Personen oder Institutionen, denen der Mensch zugetan ist. Anderseits die menschliche Eigenschaft zur Suche nach Selbstverwirklichung, nach Eigenständigkeit, nach Gegenwert einer Beziehung, nach Abenteuer und Abwechslung. Der bayrische Tourist, der in China Weisswürstl und Bier verlangt, oder der Schweizer Tourist, der im Ausland „Zürich Geschnetzeltes mit Rösti“ sucht, das sind Menschen mit den Eigenschaften Beständigkeit, Konservativismus, Misstrauen gegen Unbekanntes. Die europäischen Touristen, die in China gebratene Mehlwürmer und gekochte Hunde essen, sind offen für Neues, unvoreingenommen, ungebundener und wenig prinzipientreu. Sie orientieren sich eher nach Zweck, nach Wert, nach Sinn und nach Erleben. Loyalität als Charaktereigenschaft zeigt sich bei Menschen, denen konservative Werte viel bedeuten.

Loyalität kann aber auch bei Menschen erzeugt werden, die Neues suchen, Freiheit anstreben und in Ungebundenheit zufrieden sind. Denn Loyalität hat auch viel mit Dankbarkeit und Wertschätzung zu tun. Wenn sich Arbeitgeber loyale Mitarbeiter wünschen – solche, die für sie „durchs Feuer gehen“ – dann gilt es, ein internes Klima zu schaffen, in dem Loyalität wachsen und gedeihen kann. Ein Arbeitgeber muss für den Arbeitnehmer einen materiellen und ideellen Wert darstellen. Der materielle Wert ist klar: Gehalt, Spesen, Vergünstigungen, Sozialleistungen. Der ideelle Wert: Identifikation mit Aufgabe, Chef, Kollegen, Produkt oder Dienstleistung. Dafür sind

subtile Massnahmen notwendig. Doch Massnahmen werden individuell unterschiedlich akzeptiert. Beim einen löst

eine Anerkennung einen Motiviationsschub aus, beim andern ist eine Anerkennung ohne materielle Belobigung hohl und demotivierend. In diesem Spannungsfeld kann sich Loyalität sehr schnell in Illoyalität verwandeln. Zudem sind verschiedene Loyalitätspartner vorhanden:

  1. Die Arbeit selber:

Die Arbeit muss eine Mischung darstellen zwischen bekannten, routinemässigen Aufgaben und Aufgaben, die den Menschen durch Neuheit, besondere Schwierigkeit oder spezielles Umfeld fordern. Die Mischung ist aber individuell verschieden.

  1. Das Unternehmen:

Kultur, Ethik, Offenheit, Marktbedeutung, Interessantheit, Personalentwicklung, das sind alles Aspekte, die eine Beziehung zum Unternehmen festigen oder lösen können. 

  1. Kollegen und Kommunikationspartner:
    Ein menschliches Umfeld, in dem man sich wohlfühlt, gibt zwischenmenschliche Beziehungen, die nicht so schnell aufgegeben werden. Treue ist eine zwischenmenschliche Eigenschaft.
  2. Die direkten Vorgesetzten:

Die Vorgesetzten sind für Loyalität entscheidend. Loyalität baut auf Dankbarkeit, auf Achtung, auf Wertschätzung und auf ehrliche, offene Beziehung. Ob sich ein Mensch loyal verhält, ist also von den Menschen abhängig, denen gegenüber er loyal sein sollte.

Loyalität kann weder gefordert noch angeordnet werden. Sie ist eine Folge von Beziehungen und Umständen. Sie ist ein Geschenk. Sie aber als Anforderung in eine Personalsuchanzeige zu setzen, zeigt, dass der Anzeigenschreiber vom Begriff Loyalität falsche Vorstellungen besitzt. Loyalität ist nicht allein Charaktereigenschaft, wie bei Hunden, die trotz Schlägen bei ihrem Meister bleiben. Loyalität bei Menschen setzt einen Gegenwert voraus. Und ein Unternehmen, das diesen Gegenwert nicht leisten kann und will, wird auch keine loyalen Mitarbeiter haben.    jb