Führen heisst, Menschen zu sich selbst führen!

Jeder Mensch ist ein Individuum. Jeder besitzt einen genetischen Charakter, d. h. bestimmte psychische Verhaltensweisen beim Eintreffen von Anforderungen an ihn. Dieser genetische Charakter kann durch Erziehung, Umwelteinflüsse, Zwänge, Erfolge, Idole und durch die eigene Vernunft den herrschenden Lebensumständen angeglichen werden.

Korrekturen am Charakter sind Quellen von Identifikationsproblemen. Der Mensch tut etwas, was nicht seiner genetischen Bestimmung entspricht. Dieser Zwiespalt kann je nach Verschiedenheit locker übersprungen werden, oder er führt zu Belastungen, zu Widerstand dagegen oder sogar zu pathologischen Zuständen.

Moderne Führung hat zum Ziel, die Leistung eines Menschen optimal in die Gesamtleistung eines Unternehmens einzubringen. Eine grosse menschliche Leistung entsteht, wenn die zu leistenden Aufgaben mit den An- und Einsichten des Menschen in Übereinstimmung gebracht werden können. Das bedingt, dass führende Menschen die zu Führenden zuerst kennen lernen müssen. Keine leichte Aufgabe! Denn leider ist es so, dass führende Menschen die zu Führenden ihrem eigenen genetischen Charakter anpassen wollen. Es ist menschlich verständlich, dass der Führende sein eigenes Ego als Mass der Dinge sieht. Aber dadurch wird das Ziel einer modernen Führung verfehlt.

Führung muss mit der Führung des «Ichs» beginnen. Nur wenn man sich selber kennt und selbstkritisch beurteilt, kann man andere kennenlernen. Wie wirke ich auf andere Menschen?  Kann ich erwarten, dass andere Menschen mir vertrauen, wenn ich ihnen selber misstraue? Kann ich erwarten, dass andere Menschen enthusiastisch Aufgaben anpacken, wenn ich selber unsicher bin? Stehe ich selber mit Überzeugung hinter dem, was ich anordne?

Zur Menschenführung gehören Konzepte, Visionen, Werte. Menschen wollen sich mit dem, was sie tun, identifizieren können. Ihr genetischer Charakter sollte mit der Aufgabe, mit der Arbeitsumgebung und den unternehmerischen Zielen vereinbar sein. Und wenn eine gute Übereinstimmung der Faktoren erreicht werden kann, dann sieht der Mensch einen Sinn in seinem Tun. Etwas als sinnvoll zu erkennen führt zu einer Bejahung. Ein überzeugtes «Ja» macht Kräfte und Leidenschaften frei.

Menschenführung findet nicht allein in Teams oder Bereichen statt. Die Unternehmensspitze muss heute ein klares Konzept für das Unternehmen allen Mitarbeitenden vermitteln können. Weshalb gehen Menschen in Vereine, Glaubensgemeinschaften, politische Parteien? Weil sie ihre persönlichen Eigenheiten darin verwirklicht sehen und sie mit anderen teilen können. Entsprechend müssen aus der Unternehmensführung klare Definitionen kommen, welche Ziele ein Unternehmen verfolgt, mit welchen Mitteln Ziele erreicht werden sollten und wie man zu ethischen und moralischen Forderungen von Umwelt und Gesellschaft steht. Damit verpflichtet sich auch die Unternehmensspitze, den Definitionen nachzukommen und vorbildlich nachzuleben. Und sollte in den Definitionen stehen, «bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt», dann sollte die Entwicklung von Mitarbeitenden auch wirklich im Mittelpunkt stehen.

Digitalisierung und Corona-Pandemie haben Führungsaufgaben verändert. Mitarbeitende sind selbständiger geworden und Vorgesetzte mussten ihre Eigenheiten in der Führung überdenken, denn in vielen Bereichen fand eine persönliche Trennung statt und verwandelte sich in ein virtuelles Korrespondieren. Die Wichtigkeit, dass Führen bedeutet, Menschen zu sich selbst zu führen, hat an Bedeutung gewonnen.                 jb