Diskrepanz zwischen Employer Branding und Recruiting

Mit Employer Branding versucht sich ein Unternehmen für den Personalmarkt begehrenswert zu gestalten. Viele Unternehmen investieren Zeit und Geld, um möglichst attraktiv für Kandidaten zu sein. Eine tolle Homepage, gepflegte Aufmachungen in Social Networks, schöne Unternehmensbroschüren, viele positive Bewertungen in „kununu“, Schulung der Vorgesetzten im Umgang mit Kandidaten, all das soll bewirken, dass die besten Kandidaten den Weg ins Unternehmen finden.

Was dem entgegensteht, sind die Massnamen und Organisationsformen im Recruiting. Beispielsweise gibt es eine Firma, die in Anzeigen schreibt, bitte bewerben Sie sich telefonisch. Der Kandidat macht sich Hoffnung auf ein aufschlussreiches Gespräch, doch er wird auf eine Bandansage umgeleitet: Bitte bewerben Sie sich über unser Bewerbungsformular auf unserer Homepage. Der Aufwand, den ein Interessent bei einer Bewerbung über die Homepage treiben muss, ist bei vielen Firmen sehr gross. Oft muss er noch ein Online-Assessment durchführen, damit die Bewerbung vollständig ist, und dies kann viel Zeit beanspruchen. Vom Unternehmen her gesehen ein Vorgang, der viel Zeit einspart und sämtliche Kandidatendaten in ein einheitliches Schema bringt, was die Vorauswahl und den Abgleich mit dem Anforderungsprofil erleichtert oder sogar automatisiert. Vom Kandidaten aus gesehen ein Geduldsaufwand. Und ist ein Kandidat ungeduldig, dann bricht er den Bewerbungsvorgang ab. Dazu kommt noch, dass automatisierte Bewerbungen Fragen enthalten, deren Antworten Kandidaten als unnütz empfinden.

Vom Unternehmen her stellt sich die Frage, «was wollen wir für Kandidaten»? Wollen wir „High Potentials“ oder angepasste Mäuschen, die sich ins gemachte Nest eines Konzerns setzen möchten? „High Potentials“ gelten als Macher, als Dynamiker, als Schnellentscheider. Ungern opfern sie mehrere Stunden Zeit für Arbeiten, die  (aus Sicht des Kandidaten)rationeller abgewickelt werden könnten. „High Potentials“ finden andere Angebote, bei denen

die Kandidatur schneller und persönlicher abläuft.

Hat ein Kandidat den Aufwand einer Bewerbung abgeschlossen, erhält er die automatisierte Antwort: Vielen Dank, Ihre Bewerbung ist bei uns eingetroffen. Danach vergehen zwei, drei, vier Wochen, bis eine neue Meldung kommt, wenn überhaupt eine kommt. Diese Wartezeit zermürbt die anfängliche Motivation für die ausgeschriebene Stelle. Schneller handelnde Unternehmen erhöhen ihre Rekrutierungschancen.   

Erhält ein Kandidat die Einladung zu einem Gespräch, muss er sich auf vielfache Gesprächsformen einlassen. Es kann ein Gesprächsmarathon sein, bei dem er im Viertelstundentakt verschiedenen Personen vorgestellt wird, es kann eine „Employer Branding“-Veranstaltung sein für viele mögliche Kandidaten, in der sich das Unternehmen zu profilieren versucht. Vielleicht ist es ein Interview, in dem der Kandidat mehreren Führungspersonen gegenüber steht, die sich in der Schärfe der Fragestellung überbieten wollen. Im besten Fall trifft er einen Recruiter der HR-Abteilung, der sich Zeit nimmt und ihn bei entsprechenden Entscheidern vorstellt.

Falls der Kandidat nachher wieder längere Zeit auf eine Nachricht warten muss, besteht die Gefahr, dass er sich endgültig von der Kandidatur zurückzieht.

Alle, durch „Employer Branding“ erreichten Unternehmenssympathien können durch Recruiting-Massnahmen zerstört werden. Zum Employer Branding gehört deshalb als erstes, den Rekrutierungsablauf menschlich, sympathisch, motivierend, schnell und zielgerichtet zu gestalten. Ist das nicht der Fall, sind alle Branding-Aktivitäten nutzlos. Im Rekrutierungsablauf zeigt sich die Einstellung eines Unternehmens zu seinen bestehenden und künftigen Mitarbeitern. Automatismen geben zukünftigen Mitarbeitern nicht den Eindruck, geschätzt und wertvoll zu sein. Fähige Individuen wollen ihren Fähigkeiten entsprechend behandelt werden.                                                       Jb